1. Quo vadis retail?

Marc Bonny: Wir zeichnen gerne das Bild eines angeschlagenen Boxers und von Zalando gut ausgeteilt bekommen hat – aber der taumelnde Boxer kann immer noch zum großen finalen Schlag ausholen. Der Schuhkurier schrieb neulich, dass Klagen quasi zur DNA der Branche gehört. Das kann man so sehen. Sicherlich konnten sich lange Zeit viele Einzelhändler mit Bordmitteln und ohne den Griff in den digitalen Werkzeugkasten über Wasser halten. Doch ohne Konzept und ohne digitale Strategie wird es genau jetzt ganz eng. Hingegen sind die Aussichten von Händlern, die die Digitalisierung offen angehen, sehr gut!

 

  1. Wie sah Ihr persönlicher Weg in die digitale Welt aus?

Marc Bonny: Seit 2006 befasse ich mich intensiv mit Online-Marketing. Seit 2011 baue ich zusammen mit meiner Frau den E-Commerce in unsere Firma auf. 2016 haben wir die Initiative Schuhhandel-Digital.de gegründet. In den letzten Jahren habe ich mich intensiv mit der Digitalisierung auseinandergesetzt und ausprobiert. Ich muss zugeben, dass mich die digitalen Möglichkeiten wirklich faszinieren und irgendwie herausgefordert haben. Der Knoten ist bei mir geplatzt als ich den Unterschied zwischen „müssen“ und „wollen“ verstanden habe. Wenn man eine Homepage mit Inhalt füllen muss, dann fällt einem einfach nichts ein. Doch als ich erstmals gemerkt haben, wie viel Spaß es macht Prozesse selbst zu gestalten und sich dann die ersten Erfolge einstellten, wurde es zum Selbstläufer.

 

  1. Stichwort Initiative Schuhhandel-Digital.de: Wollen Sie die Welt verbessern?

Marc Bonny: Nein, wir wollen uns mit diesem Projekt zukunftsfähig machen und gehen deshalb in Vorleistung. In der Schuhbranche ist es nicht unbedingt üblich zu kooperieren und die Zusammenarbeit zu suchen. Hier gilt: „Wenn jeder an sich denkt, dann ist an alle gedacht.“ Genau diesen Tabu-Bruch haben wir ganz bewusst gesucht und zunächst unser ganzes Wissen rund um online-Sichtbarkeit runtergeschrieben und online gestellt. Zunächst nur für unsere softinos-Fachhändler. Später dann für alle. Vorausgegangen war eine Analyse unserer Händler: Händler, welche online nicht zu finden sind, brechen uns schneller weg als andere. Händler, die online sichtbar sind, wachsen gesund und Händler mit eigenem E-Commerce wachsen überdurchschnittlich. Wir profitieren also von der Digitalisierung des Schuhhandels und stellen uns deshalb so offen wie irgendwie möglich auf.

 

  1. Wie sieht die Zukunft des (Schuh-)Handels aus?

Marc Bonny: Es wird nicht die eine Zukunft geben! Die digitalen Möglichkeiten machen alle Lösungen komplex. Das führt zu dem Problem, dass oft der Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen wird. Wenn alles komplexer wird, dann helfen gerade alte Tugenden wie Ehrlichkeit, Vertrauen, Loyalität. Ich glaube an eine Renaissance genau dieser alten Tugenden. Und das nicht nur im b2b-Bereich. Das Internet macht den Endkunden anspruchsvoller und das Bedürfnis nach persönlichem Kontakt und guter Beratung wird geschürt. Stationäres Shopping wird noch mehr zum Freizeiterlebnis, das online vor- und nachbereitet wird.

 

  1. Wie digital wird der POS in der Zukunft sein?

Marc Bonny: Große Flächenkonzepte werden mit einem digitalen Feuerwerk beim Kunden punkten und Dank der Digitaltechnik ihre Effizienz enorm steigern. Kleine inhabergeführte Geschäfte sind hingegen gut beraten hier auf Lücke zu gehen und mit persönlicher Beratung zu punkten. Doch genau diese professionelle Beratung wird in Zukunft nicht ohne digitale Hilfe auskommen. Ich denke hier an digitale Hilfsmittel rund um die Regalverlängerung, die Warenverfügbarkeit und verschiedene Produktvariationen darstellt. Auch werden die im Internet üblichen Bezahlsysteme in der Offline-Welt Usus werden. Durch die Gesetzesnovelle in diesem Jahr sind die Bezahlkassen ja bereits 100% digital. Das war möglicherweise der große Glücksfall für den stationären Einzelhandel.

 

  1. Wieso messen Sie digitalen Kassen eine so große Bedeutung zu?

Marc Bonny: Das Gesetz zwingt Händler dazu ihr Inventar digital zu erfassen. Wenn das geschafft ist, kann der Einstieg in den E-Commerce nur noch wenige Mouseclicks entfernt sein. Unsere Erfahrung zeigt, dass Schuhhändler schnell 15-25% ihres gesamten Umsatzes online über Marktplätze abbilden können. Dieser Umsatzbooster wird vielen Händlern neue Spielräume ermöglichen und Lust auf mehr machen.

 

  1. Lust auf mehr?

Marc Bonny: Absolut! Die für den E-Commerce notwendige Software ist mittlerweile wahnsinnig benuzterfreundlich und vor allem bezahlbar geworden. Vielleicht waren sogar viele Händler im Nachhinein besonders gut damit beraten die Digitalisierung möglichst lange herauszuschieben. Heute gibt bewährte Technik ohne Kinderkrankheiten im guten Preis-Leistungsverhältnis. Viele Händler, die ich bislang kennenlernen durfte, sind verdammt gute Kaufleute, die schnell zu echten Cross-Channel Spezialisten werden können. Auch und gerade das Problem des Generationenwechsels lässt sich ideal lösen, wenn jede Generation sich auf sein Steckenpferd konzentriert.

 

  1. Sie haben am Anfang das Bild eines Boxers gezeichnet – würden Sie auf diesen Boxer wetten?

Marc Bonny: Ja, aber natürlich nur wenn es einer unserer softinos-Händler wäre! Nein, im Ernst: ich bin wirklich sehr gespannt, was in den kommenden fünf Jahren passieren wird. Zalando hat die Branche ganz gut durchgerüttelt. Das ist Fluch und Segen zugleich und hat einiges Gute in Gang gebracht. Viele Einzelhändler werden einen Boxkampf nicht gewinnen können oder wollen, aber das müssen sie auch nicht. Es wird neue Akteure auf dem Schuhmarkt geben. Selbst Zalando ist nun ein großer und damit langsamer Tanker geworden, der durch Innovationen angreifbar geworden ist.


Über Marc Bonny

Marc Bonny (35) ist in der Schuhbranche ein Quereinsteiger. Der Geograph hat früher in der Bereich der Regionalentwicklung gearbeitet und dort das interdisziplinäre und gerne einmal unkonventionelle Arbeiten und Denken verinnerlicht. Bei Sunny Seasons S.A., ist er heute für das Marketing und Vertrieb zuständig. Die Sunny Seasons S.A. ist ein  Distributor für Schuhe MADE IN PORTUGAL. Aus Verbundenheit mit dem inhabergeführten Fachhandel wurde die Initiative Schuhhandel-Digital.de gegründet. Da das Unternehmen nicht nur b2b aktiv ist, sondern die Schuhe auch selbst online an Endkunden vermarktet ist das erklärte Ziel: Gemeinsam mit den Fachhändlern zunächst die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern und schließlich neue Geschäftsmodelle gemeinsam zu entwickeln.