Obwohl der stationäre Handel mehr als 90 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes in Deutschland erwirtschaftet, ist er zunehmendem Druck vor allem auch durch den Online Handel ausgesetzt. Hierbei gilt, dass faktisch jede Branche des Einzelhandels – aber nicht jede(r) gleich stark – betroffen ist. Der Anteil des E-Commerce am gesamten Handelsumsatz könnte laut unserer Prognose[1] bis 2021 auf bis zu 18 Prozent ansteigen. Diese Prognose basiert auf zahlreichen Trends und Entwicklungen. Diese bestehen bereits seit einiger Zeit, stellen aber vor allem aktuell die Einzelhändler vor Probleme und werden sich selbst auch weiterentwickeln. Wichtige Herausforderungen und Entwicklungen für den Einzelhandel liegen in den nachfolgend genannten Einflussfaktoren (vgl. Abbildung).

Wichtige Einflussfaktoren auf den Einzelhandel (Auswahl)

 

Quelle:

Holger Seidenschwarz, Stefan Weinfurtner, Ernst Stahl, Georg Wittmann: E-Commerce-Strategien für den mittelständischen Einzelhandel, Regensburg/München 2014.

 

Die Einflussfaktoren treten dabei zunächst auf beiden Seiten der Handelsbeziehungen auf – sowohl in der Beziehung zu den Kunden als auch in der Beziehung zu den Herstellern. Daneben stehen Einflussfaktoren interner Art, etwa Prozessgestaltung oder Technologieeinsatz, sowie externer Art, beispielsweise Einflüsse des Gesetzgebers. Der wichtigste Faktor sind dabei kundengetriebene Entwicklungen, denn über die Kunden generiert der Handel seinen Cashflow.

Hier lassen sich mehrere Entwicklungen beobachten. Neben dem langfristigen demografischen Trend der Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung (und somit der Kundenbasis) sind dies insbesondere sich verändernde Kundengewohnheiten in Bezug auf die Auswahl genutzter Einkaufskanäle. Daneben tritt der Faktor der technologie- und prozessgetriebenen Entwicklungen. Hier sind vor allem zwei Entwicklungen von Bedeutung. Zum einen ist es die beständig zunehmende Verbreitung mobiler Endgeräte, zum anderen der Umgang mit Retouren, die die Händler vor Herausforderungen stellen. Bei der Betrachtung der Hersteller als Lieferanten des Einzelhandels lassen sich ebenso Entwicklungen identifizieren, die Entscheidungen der Händler erfordern, wie auch im regulatorischen Umfeld.

Die Zukunft des Handels liegt vor allem auch in den Händen der Konsumenten. Betrachtet man das Einkaufsverhalten der Kunden, fällt auf, dass diese heutzutage deutlich anspruchsvoller sind als noch vor einigen Jahren. Häufig werden diese Ansprüche durch das breite Angebot des Online Handels besser bedient als durch stationäre Geschäfte. Viele Kunden haben sich mittlerweile außerdem an die Vorteile des Online-Shoppings gewöhnt. Dazu zählen z. B. kostenlose Lieferungen, die vielleicht sogar am selben Tag ankommen, relativ günstige Preise oder die Verfügbarkeit aller erdenklichen Produkte rund um die Uhr. Zudem nimmt der Anteil der Shoppingaktivitäten, die mithilfe mobiler Endgeräte wie Smartphones und Tablets stattfinden, weiter zu. Unter diesen Entwicklungen leiden besonders die Innenstädte, da immer mehr Geschäfte aufgrund der sinkenden Kundenfrequenz leer stehen. Tendenziell stärker betroffen ist dabei der ländliche Raum und kleine Städten und Gemeinden.

Wichtig ist allerdings auch festzuhalten, dass der Frequenzrückgang nicht nur auf den wachsenden E-Commerce zurückzuführen ist. Vielmehr gibt es eine Vielzahl weiterer Faktoren. Einige Beispiele sollen hier nur kurz genannt werden: gestiegene Mietkosten in den Top-Lagen, Schwierigkeiten bei Betriebsübergaben (Nachfolgeproblematik), Landflucht und zunehmende Urbanisierung, Bevölkerungsrückgang sowie die Verkehrs- und Parksituation. Der Besucherrückgang wird sich tendenziell in vielen Städten weiter verstärken, unter anderem auch deshalb, weil die Gruppe der sogenannten „Digital Natives“ also die Personengruppe, die in der digitalen Welt groß geworden ist, im Zeitablauf größer wird und ihre Einkaufsgewohnheiten beibehält.

Gerade die jungen Konsumenten, entscheiden nicht mehr zwischen online und offline, denn sie nutzen ganz selbstverständlich alle zur Verfügung stehenden Kanäle zum Einkauf. Das stationäre Geschäft stellt in so einem Omni-Channel Modell also nur noch einen von vielen Berührungspunkten dar, bleibt aber auch zukünftig noch der wichtigste Einkaufskanal, jedoch in zunehmender Verbindung mit den anderen. In Zukunft muss der Einzelhandel versuchen, durch möglichst viele dieser Schnittstellen zum Kunden einen Mehrwert schaffen zu können. Um im stationären Geschäft Begeisterung bei den Kunden auszulösen, eignen sich z. B. moderne In-Store Technologien wie mobile Bezahllösungen, virtuelle Umkleiden oder die Ausstattung des Beratungspersonals mit Tablets. Solche Technologien werden bereits heute in einigen Filialen eingesetzt, um den erhöhten Ansprüchen der Kunden hinsichtlich Service, Komfort und Erlebnisgehalt gerecht zu werden. Kunden erwarten in stationären Geschäften mittlerweile vor allem Unterhaltung und besondere Erlebnisse – gerade wenn sie keinen repetitiven Versorgungseinkauf von Gütern des alltäglichen Bedarfs (sogenannte Fast Moving Consumer Goods (FMCG)) durchführen. Ein vernetztes Einkaufserlebnis, individuelle und qualitativ hochwertige Beratung sowie innovative Technologien sind der Schlüssel zum Erfolg in den nächsten Jahren.

Außerdem gewinnen personalisierte Angebote, die z. B. in Echtzeit während des Aufenthalts im Geschäft offeriert werden, zunehmend an Bedeutung. Auf Basis von gesammelten Kundeninformationen können relevante und passgenaue Angebote unterbreitet werden. Dadurch kann die Loyalität der Kunden gesteigert werden, wenn es geschickt und nicht übertrieben angewandt wird. Ein entscheidender Punkt ist außerdem, dass immer mehr Kunden, die heute ein Geschäft betreten, durch die Vorabrecherche im Internet häufig mindestens genauso gut informiert sind wie die Verkäufer. Ein Kundenservice durch qualifizierte Mitarbeiter kann also immer wichtiger werden, da der Einzelhandel als Problemlöser und Kurator durch den Kunden wertgeschätzt wird. Es gilt: weg von einer reinen „Verkaufskultur“ hin zu einer „Berater- bzw. Problemlösekultur“.

Transformation als Lösung für den Einzelhandel

Um der Digitalisierung durch Nichtstun oder einer Reaktionsstarre nicht zum Opfer zu fallen, müssen sich Händler der digitalen Transformation stellen. Denn digitale Innovationen verändern das Einkaufsverhalten und verlangen ein Umdenken des Einzelhandels. Dieser sollte deshalb überlegen, wie er den Einkaufsprozess des Kunden auch digital unterstützen kann. Die Basis dafür können unter anderem fundierte Kundenprofile darstellen, die anhand von Daten aus Loyalty-Programmen, In-Store-Tracking und Online-Transaktionen erstellt werden. Hinzu kommt ein möglichst flexibles Marketing, das weg vom wenig kundenspezifischen Massenmarketing und hin zu einer Mikro-Segmentierung geht. Alle Marketingaktivitäten sollten sich auf den individuellen Kunden fokussieren, um diesem ein optimales Einkaufserlebnis zu bieten. Dazu müssen die Händler auch verstärkt in die Qualifikation ihrer Mitarbeiter investieren, um einen individuellen Kundenservice bieten zu können. Außerdem kann durch die Nutzung integrierter Technologien (z. B. interaktive LED-Wände, Augmented-Reality-Tools, berührungsempfindliche Bildschirme) ein marketingwirksames Erlebnis für den Kunden geschaffen werden. Durch die Unterstützung mobiler Bezahlsysteme kann sich die Digitalisierung auch in diesem Schritt des Einkaufs durchziehen.

Was allerdings auch hier hervorzuheben ist: Es gibt kein pauschales Patentrezept für alle Händler, um die Zukunft des Einzelhandels im Zeitalter der Digitalisierung zu sichern. Jedoch gibt es Faktoren, denen die Händler besondere Beachtung schenken sollten. Dazu müssen bestehende Prozesse im stationären Einzelhandel überdacht werden und spezieller auf die Bedürfnisse der modernen Kunden ausgerichtet werden. Zusätzlich sollten Geschäfte mit innovativer und vor allem nützlicher Technologie ausgestattet werden, um den Einkaufsprozess des Kunden zu erleichtern und einen Mehrwert bieten zu können. Reine „Gimmicks“ sind nicht zielführend, sondern meistens nur teuer. Problematisch ist allerdings, dass der Einzelhandel teilweise immer noch fehlende Bereitschaft zeigt, sich einer Innovationskultur zu öffnen. Dabei ist festzustellen, dass langfristig die Händler erfolgreich sein werden, die ihre Kunden über verschiedene Kanäle ansprechen – auch wenn sie nicht über all diese Kanäle verkaufen.

 

 

Fazit

Die Zukunft des Einzelhandels wird einen festen Bestandteil haben: die Digitalisierung! Das Internet ist schon heute ein wichtiger Teil des Einkaufsprozesses. Klar ist außerdem, dass der Kunde mehr denn je im Mittelpunkt stehen wird und dies auch immer mehr erwartet. Dabei spielt auch die mobile Nutzung über smarte Geräte eine immer wichtigere Rolle. Aus diesem Grunde ist es richtig und wichtig, dass viele Unternehmen beim Gang ins Netz bei der Optimierung ihrer Website zunächst an die Nutzung durch mobile Endgeräte („mobile first“) denken. Analog weitergedacht wandelt sich aber dann diese Devise in das noch höhere Ziel „customer first“ – vom Kunden her denken.

Gerade für kleine und mittelständische Einzelhändler stellt unbestritten die zunehmend nötige Digitalisierung weiterhin eine große Herausforderung dar, welche aber dennoch als Chance wahrgenommen werden muss. Der stationäre Handel muss sich dazu wohl häufig noch stärker vernetzen und z. B. im Verbund innovative Technologien in seine Prozesse integrieren, um von der Digitalisierung profitieren zu können und wettbewerbsfähig zu bleiben. Durch datenbasierte Analysen können Kundenwünsche zukünftig individueller und zielgerichtet erfüllt werden – nicht nur online, sondern auch stationär. Somit gilt: der Handel hat Zukunft, wenn er etwas unternimmt und sich wieder einmal transformiert.

 

Zehn Thesen zur weiteren Entwicklungen im Einzelhandel*
1. Die Entwicklungen im E-Commerce betreffen jede Branche des Einzelhandels ganz aktuell – aber nicht jede(n) gleich stark.

 

2. Der stationäre Vertriebsweg bleibt auch zukünftig noch der wichtigste Einkaufskanal – aber in zunehmender Verbindung mit den anderen.

 

3. Digitale Innovationen verändern das Einkaufsverhalten und verlangen ein Umdenken des Einzelhandels.

 

4. Der stationäre Einzelhandel kann nicht primär über den Preis mit dem Online-Handel konkurrieren.

 

5. Das Einkaufserlebnis und die individuelle Lösung der Kundenprobleme sind wesentliche Erfolgsfaktoren des stationären Einzelhandels.

 

6. Der Einzelhandel braucht eine „Berater- bzw. Problemlösekultur“ statt einer reinen „Verkaufskultur“.

 

7. Der Einzelhandel braucht eine Innovationskultur und muss sich dieser öffnen – und das so schnell wie möglich.

 

8. Langfristig werden die Händler erfolgreich sein, die ihre Kunden über verschiedene Kanäle ansprechen – auch wenn sie nicht über all diese Kanäle verkaufen.

 

9. Durch die Nutzung mehrerer Vertriebskanäle können auch Einzelhändler in strukturell schwachen Regionen vom E-Commerce profitieren.

 

10. Auch jetzt noch bestehen gute Marktchancen für Einzelhändler im E-Commerce, insbesondere in Marktnischen.

 

*) In der nachfolgend angegebenen Quelle werden die aufgeführten Thesen entsprechend erläutert und begründet.

 

Quelle (Link):

Holger Seidenschwarz, Stefan Weinfurtner, Ernst Stahl, Georg Wittmann: E-Commerce-Strategien für den mittelständischen Einzelhandel – Ausblick 2020, Regensburg / München 2015.

 


 

Über ibi research:

Seit 1993 bildet die ibi research an der Universität Regensburg GmbH eine Brücke zwischen Universität und Praxis, arbeitet also mit den Methoden der Wissenschaft an den Themen der Praxis, mit klarem Schwerpunkt auf Innovationen und deren Umsetzung.

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